Das Malandain Ballet Biarritz, das bereits mit Produktionen zur Musik von Strawinsky und Beethoven in Freiburg zu sehen war, bietet in seinem einzigen Schweizer Auftritt ein Programm, das den vier Jahreszeiten von Vivaldi, aber auch den Tanzsuiten von Giovanni Antonio Guido gewidmet ist. In seiner anspruchsvollen Inszenierung verknüpft der Choreograf Thierry Malandain die Kompositionen zu einer Reflexion über die Natur. Ähnlich wie Vivaldis Meisterwerke, die durch ständige Wiederholungen fast langweilig wirken, steht der Mensch seiner Umwelt, wie die globale Erwärmung zeigt, beinahe gleichgültig gegenüber.
Diese Kreation vereint die berühmten Vier Jahreszeiten von Antonio Vivaldi mit den weniger bekannten seines Zeitgenossen und Landsmanns Giovanni Antonio Guido.
Lange bevor sie 1725 in Amsterdam veröffentlicht wurden, hatten die ersteren bereits ihre leidenschaftliche Energie entfaltet. Es handelt sich um einen Zyklus von vier Violinkonzerten mit den naheliegenden Titeln: Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Jedes Werk besteht aus drei Sätzen, deren Virtuosität nicht das Hauptziel ist. Neuartig für die damalige Zeit werden sie jeweils von Sonetten eingeleitet, die Vivaldi zugeschrieben werden, und bieten eine Folge ländlicher Szenen, die die Natur auf anschauliche Weise feiern.
Diese Werke gehören zu den meistverbreiteten des Repertoires: über tausend Einspielungen bis heute, von unzähligen Konzerten ganz zu schweigen, von Warteschleifenmusik in Telefonsystemen und Werbespots. Diese universelle Hymne an die Natur, die Mitte des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde, hat die besondere Fähigkeit, zu gefallen. Daher ihre immense Beliebtheit – aber auch die damit einhergehende Ermüdung oder gar Ablehnung, die sie hervorrufen kann. So sagte Igor Strawinsky 1959: „Vivaldi ist stark überschätzt – ein langweiliger Typ, der immer wieder dieselbe Form komponierte.“ (1)
In ihrer ganzen Größe und in der Fülle ihrer Versprechungen ist es in der Tat so, dass Vivaldis Vier Jahreszeiten so oft gehört, so sehr ausgebeutet und missverstanden wurden, dass sie in der Reaktion zu wahren Ohrwürmern verkommen sind, die nerven, Gleichgültigkeit hervorrufen oder – wie in unserem Fall – melancholische Gedanken auslösen können. Besonders im heutigen desillusionierten und geschädigten Klima, in dem die Zerstörung der Natur eine existentielle Bedrohung darstellt. Im Kontrast dazu – da das Wort „Natur“ wörtlich „Geburt“ bedeutet – sollten die Vier Jahreszeiten des Jahres von Giovanni Antonio Guido mit ihrem neuartigen Charakter frische Luft bringen, Erneuerung, einen Grund zur Hoffnung.
Sie wurden um 1726 in Versailles veröffentlicht, könnten aber älter sein als Vivaldis Werke, da sie möglicherweise um 1716 komponiert wurden – anlässlich der Vernissage von vier ovalen Gemälden von Jean-Antoine Watteau, die dem Thema der Jahreszeiten gewidmet waren und das Pariser Hôtel des französischen Schatzmeisters Pierre Crozat, Mäzen und Kunstsammler, schmückten. Guido, ein erstklassiger Geigenvirtuose aus Genua, war zu dieser Zeit Mitglied der „musique particulière“ von Philippe d’Orléans, dem Regenten Frankreichs, bevor er in den Dienst seines Sohnes Louis trat.
In der französischen Form der Tanzsuite geschrieben, vertont Guido – wie auch Vivaldi – vier anonyme Gedichte: Les Caractères des saisons. Die saisonalen Veränderungen beschreibt Guido mit zarten Tönen in Grün, Blau und Blassrosa. Auch ländliche Gottheiten treten auf, wie in Les Saisons des Abbé Jean Pic, die zwischen 1695 und 1722 an der Académie royale de musique in einer Choreographie von Louis Pécour dargestellt wurden. Zu Melodien von Pascal Collasse und Louis Lully bestand das Ballett aus vier „Entrées“ – einer heiligen Zahl, die mit Schöpfung, Gleichgewicht und Harmonie assoziiert wird. Vier Türen, die wir durchschreiten, um auf den Pfaden des Ideals zu wandeln.
Wie weit werden wir so gehen? Ich weiß es nicht… Guidos Bogenstriche ahmen respektvoll den Verlauf der Jahreszeiten nach, aber wir befinden uns im Theater, wo alles falsch ist und sich in der Atmosphäre verliert.
Das ist das eigentliche Problem des Choreografen, der mit den Grenzen seiner Kunst ringt. Während die Lösung, wenn wir auch künftig die Natur betrachten wollen, wenn sie im Frühling ihr Herz öffnet, darin besteht, sie grenzenlos und ohne falschen Schein zu respektieren.
Thierry Malandain
(1) Conversations with Igor Stravinsky, Robert Craft, 1959, S. 84
(2) Vivaldi: Amour de la Musique, Marc Pincherle, 1955, S. 55
Malandain Ballet Biarritz
Gegründet 1998 in Biarritz auf Initiative des französischen Kulturministeriums und der Stadt Biarritz, mit Unterstützung der Region Nouvelle-Aquitaine und des Département Pyrénées-Atlantiques, ist das Malandain Ballet Biarritz eines der neunzehn bestehenden Centre Chorégraphique National (CCN) in Frankreich.
Es zeichnet sich dadurch aus, dass es aus zweiundzwanzig fest engagierten Tänzerinnen und Tänzern besteht, die in der klassischen Technik ausgebildet sind und sich in den Choreografien von Thierry Malandain in zeitgenössischer Form ausdrücken.
Heute zählt es zu den meistgesehenen Kompanien Europas, mit durchschnittlich 100.000 Zuschauer*innen pro Saison und nahezu 95 Aufführungen pro Jahr – davon ein Drittel im Ausland.
Als Centre Chorégraphique National engagiert sich die Kompanie zudem intensiv für die Vermittlung von Tanz an ein breites Publikum – mit durchschnittlich 300 Vermittlungsmaßnahmen pro Jahr – sowie für die Unterstützung von Künstler*innen und Compagnien durch das Förderprogramm Accueil Studio.